Medikamententests an DDR-Bürgern | Manuskript
Medikamententests an DDR-Bürgern: Ein Fall in Dresden
Bericht: Stefan Hoge, Carsten Opitz, Hannes Schuler
Gerhard Lehrer aus Dresden nahm an einem Medikamententest teil – ohne es zu wissen.
Seine Witwe will nun, mehr als 20 Jahre später, endlich Klarheit, was mit ihrem Mann
geschah. Im April 1989 wurde er nach einem Herzinfarkt ins Kreiskrankenhaus Dresden
"Der Oberarzt war da und hat mir gesagt, dass er jetzt ihm Tabletten bzw. Kapseln
verschreibt, die er nur bei ihm bekommt und nicht in der Apotheke. Es wäre also etwas
ganz besonderes. Das hat mir mein Mann dann gesagt in der Hoffnung, das ist was Gutes."
Zuerst scheinen die unbekannten Medikamente anzuschlagen. Gerhard Lehrer wird immer
wieder untersucht. Aber nach acht Wochen Therapie ist sein Zustand alarmierend. Er soll die
neuartigen Kapseln auf keinen Fall weiter einnehmen und alle Pillen abgeben.
"Und er selbst war bis zuletzt überzeugt, dass diese Tabletten ihn, also seinen Zustand
"DDR-201-HI" steht auf den Pillenschachteln, die Anneliese Lehrer aufbewahrt hat. Durch die
Kennung können wir weiter recherchieren. Wir finden sie in Akten aus dem ehemaligen
DDR-Gesundheitsministerium wieder - eine akribische Auflistung von zahlreichen Testreihen,
die für westdeutsche Pharmafirmen durchgeführt wurden.
Der Arzt und Pharmakenner Dr. Ulrich Möbius weiß, für die Hersteller war diese Praxis sehr
"Insofern haben die DDR-Bürger als quasi Versuchskaninchen für den Westen gedient und
auf die Weise wurden dann Westbürger vor ungünstigen Medikamenten geschützt."
Die sehr speziellen Geschäfte werden Anfang der 80er-Jahre angebahnt. In der maroden
DDR fehlt es inzwischen auch im Gesundheitssystem an allem. OP-Handschuhe, Pflaster,
Kanülen. Der Gesundheitsminister braucht Hilfe. Im Zentralkomitee der SED wird eine
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Medikamententests an DDR-Bürgern | Manuskript
Prof. Christoph Friedrich, Pharmazie-Historiker:
"Und in diesem Gespräch wurde vereinbart, dass man in der DDR Arzneimittelversuche im
Auftrag westlicher Firmen für harte Währung durchführt. Das war nun eine ökonomische
Frage, die natürlich, da sie über das Zentralkomitee der SED lief, höchste Priorität hatte
und damit war das dann auch eine Sache, die dann auch durchgesetzt worden ist."
Diese Deals bekommen einen eigenen Namen: "immaterieller Export". Über die Ostberliner
Firma "Import Export GmbH" werden sie abgewickelt. Das Unternehmen untersteht der
Staatssicherheit. Der Kopf ist Alexander Schalck-Golodkowski. Er handelt schon mit Waffen
und Kunstgegenständen. Jetzt mit Patienten.
Auch der Dresdner Gerhard Lehrer war ein immaterieller Export – nach unseren Recherchen
wurde er mit dem Medikament Ramipril behandelt. Als es ihm immer schlechter ging, wurde
der Test abgebrochen. Die Pillen von damals, die seine Frau bis heute aufgehoben hat, lassen
wir im Institut für Pharmazeutische Chemie in Leipzig testen. Mit überraschendem Ergebnis.
"Wir haben dabei kein Ramipril entdecken können. Auch Zerfallprodukte, die aus dem
Ramipril über diese mehrjährige Lagerung entstehen können, haben wir nicht gefunden.
Sodass wir mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen können, dass kein Wirkstoff in
dieser Probe war und der Patient also zur Vergleichsgruppe, zur Placebogruppe gehört
Eine schockierende Erkenntnis. Gerhard Lehrer bekam trotz schwerster Krankheit nur ein
Placebo – ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff. Ein lebensgefährliches Risiko.
Wir finden einen Arzt, der Gerhard Lehrer damals behandelt hat. Professor Johannes
Schweizer, heute leitender Kardiologe am Klinikum Chemnitz. Es fällt ihm nicht leicht – er
will unsere Fragen trotzdem beantworten. Professor Schweizer ist betroffen, dass der
Schwerkranke mit einem Placebopräparat – mit Null Wirkstoff behandelt wurde.
"Gegen Null-Testung ist problematisch. Also wenn sie das zum Beispiel einer Ethik-
Kommission vorlegen heute, dann tut man sich sehr schwer, wenn man nicht eine
Alternativ-Testung hat. Deswegen, bei diesen Sachen, also wenn es solche schweren
Erkrankungen sind, hütet man sich gegen Placebo zu testen."
Der Arzt wusste selbst nicht, was seinen Patienten verabreicht wurde. Unverantwortliche
Tests – für Devisen. In den Akten finden wir genaue Zahlen, was die Geschäfte einbrachten.
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Allein mit Behandlungen, die im Auftrag des Hoechst-Konzerns durchgeführt wurden,
konnten in zwei Jahren über 2,6 Millionen D-Mark verdient werden. Im Fall Gerhard Lehrer
finden wir Belege dafür, was für seine Teilnahme an der Studie gezahlt wurde. Das Kopfgeld
"Um Geld zu bekommen, haben die eben alles gemacht, da haben sie sogar ihre Bürger
verkauft, die Gesundheit ihrer Bürger."
Wie gesagt 2,6 Millionen D-Mark hat die DDR nach unseren Recherchen allein durch die
Zusammenarbeit mit dem Hoechst-Konzern in zwei Jahren verdient. Eine Summe, von der
der heutige Hoechst-Nachfolger Sanofi auf FAKT-Anfrage keine Kenntnis hat. Arnold Vaatz,
stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert von den
betroffenen Pharmaunternehmen jetzt absolute Transparenz.
Arnold Vaatz, stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:
"Ich möchte den Unternehmen prinzipiell jetzt nichts unterstellen, dass sie irgendwie jetzt
Vertuschungsabsichten oder sonst was haben oder hätten, aber ich halte es für ein
absolutes Gebot der Vertrauensbildung in unserer Gesellschaft, dass sie jetzt von sich aus
alle Fakten offen legen, die ihnen zugänglich sind zu diesem Thema."
Schwerkranke wurden hohen Risiken ausgesetzt, manche Patienten überlebten die Tests
nicht. Gerhard Lehrer verstarb zwei Jahre nach seiner Teilnahme an dem Pharmaexperiment.
Beim jetzt anlaufenden Aufklärungsprozess verspricht Hoechst-Nachfolger Sanofi auf
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