Genderkonstruktionen in der Wissenschaft Annelies Häcki Buhofer, Deutsches Seminar, Universität Basel
Wir erkennen und denken in und mit Sprache, und zwar so fundamental, dass unsereErarbeitung von Wissen durch Sprache und Kommunikation weitgehend geprägtwird.
Die Besonderheiten von Sprache und Kommunikation sind Erkenntnis-voraussetzungen – nicht nur für das Denken und Formulieren, sondern auch für dasWahrnehmen – und sie sind gendergeprägt. Deshalb gibt es Genderkonstruktionenin der Wissenschaft.
Die Sprache prägt schon unsere Erwartungen und dann auch unsere Wahrnehmung,das Nachdenken und Äussern von Gedanken, und zwar über
Bsp. Ein Mann ein Wort – eine Frau einWörterbuch (hier in sprichwörtlicher Form)
sprachliche Prägungen in Gestalt von Bsp. Herr im Hause seinWörtern und Wortverbindungen
(Dominanz ist männlich)Bsp. zickig (‚unangemessen heikel undkompliziert tun’ ist weiblich) *ein zickigerTyp, aber: er ist ausgesprochen zickig(in einer best. Situation)
Bsp. Doktorvater (Forschung alsFamilienbetrieb)Bsp. Wissenschaftlicher Nachwuchs
dazu gehören u.a. Paar-Konzepte Bsp. Natur – Kultur
Was die Prägung durch die Kommunikation betrifft, so funktioniert sie folgendermas-sen: Kommunikation ist nur zu einem kleinen Teil explizit und hat demzufolge we-sentlich kognitiv bleibende Anteile, die wir in unserem Kopf behalten, ergänzen undkombinieren. Als Interaktion ist Kommunikation das Resultat einer Zusammenarbeit, es brauchtmindestens zwei zum kommunikativen Resultat. Die Kommunikation trägt durch dieindividuellen Erwartungen, die nicht explizit werden, und durch die automatisiertenFormen der formalen Zusammenarbeit in der Kommunikation dazu bei, dass sichbestehende Verhältnisse immer wieder reproduzieren, dass sie immer wieder aufsNeue bestätigt werden und sich immer wieder herausstellt, dass es sich so verhält,wie wir dachten: Männer sprechen länger, belehren, Frauen hören zu, lachen an derrichtigen Stelle, bestätigen. Widerspruch und Aggression erstaunt von Frauen mehrals von Männern, geht gegen die Erwartung und wird als markiert empfunden, nichtals unmarkiert wie bei den Männern. Wenn dann doch alles anders ist, gerade um-gekehrt – natürlich kommt das vor – wird es als markierte Ausnahme wahrgenom-men.
Referate der Klausurtagung «Die Sprache(n) und Bilder der Wissenschaft» des Rates der schweizerischen wis-
senschaftlichen Akademien (CASS), Thun, 28. Februar 2003
Quelle: Server der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) www.sagw.ch
Kommunikationsforschung ist nicht «nur» linguistisch interessant. Weil Kommunikati-on aber Wissensstereotype und als solche auch Genderstereotype immer wiederrealisiert und dadurch festigt, gehört sie zu den erkenntnistheoretischen und metho-dologischen Grundlagen der Wissenschaft generell, besonders all derjenigen Wis-senschaften, die es mit Leben und Kultur zu tun haben, aber auch der technischenWissenschaften, weil der Blick, der theoretische Überbau und die Fach-kommunikation auch da gendergeprägt sind.
Dass Sprache unser Denken prägt, ist eine Überlegung, die Tradition hat in der Phi-losophie, der Erkenntnistheorie, der Kulturtheorie. Ich möchte hier nur bis Nietzschezurückgehen, der die Geisteswissenschaften ebenso wie die Naturwissenschaftengeprägt sieht von Metaphern, einem Heer von beweglichen Metaphern etc., die zurLüge im aussermoralischen Sinn führen müssen und die Wahrheit in unerreichbarerFerne, als Fata Morgana belassen. Im «aussermoralischen Sinn» heisst dieser Auf-satz deshalb, weil es sich nicht um die absichtliche und damit moralisch verwerflicheLüge handelt, wie die Lügen derjenigen, die ihre Daten oder Statistiken fälschen. Ei-ne Unterscheidung, die offenbar schwer fällt, weshalb diese Sprachtheorie oft geradeausserhalb der Geisteswissenschaften als ehrenrührig abgelehnt wird – weil manfälschlicherweise unterstellt, damit würden die WissenschaftlerInnen zu FabuliererIn-nen degradiert. Laien, aber auch Studierende ziehen gelegentlich die umgekehrt ge-neralisierende Schlussfolgerung: Sie sehen u.U. kein grösseres Problem in ge-fälschten Daten, weil die Wahrheit ohnehin nicht erreichbar ist. Es ist oft nicht aufAnhieb zu begreifen, worin der Unterschied zwischen individueller Fälschung undsprachbedingter und damit anthropologisch bedingter Prägung liegt.
Beispiel 1: Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sin-ne. Unzeitgemässe Betrachtungen. Leipzig 1973, 8
«Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schneeund Blumen reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichenWesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. Wie der Ton als Sandfigur, so nimmt sich dasrätselhafte X des Dings an sich einmal als Nervenreiz, dann als Bild, endlich als Laut aus. Lo-gisch geht es also jedenfalls nicht bei der Entstehung der Sprache zu, und das ganze Material,worin und womit später der Mensch der Wahrheit, der Forscher, der Philosoph arbeitet undbaut, stammt, wenn nicht aus Wolkenkukuksheim, so doch jedenfalls nicht aus dem Wesen derDinge.»
Auch Nietzsche war seinerseits nicht der erste, der darauf hingewiesen hat. SchonFriedrich Schlegel hat in seiner Schrift Über die Unverständlichkeit aus dem Jahre1800 die Auffassung entwickelt, dass man «die reinste und gediegenste Unverständ-lichkeit» gerade aus der Wissenschaft und aus der Kunst erhält. Nach seiner Auffas-sung ergibt sich Erkenntnis nicht – wie Wolff mit Bezug auf Leibniz etc. meinte – ineinem systematischen begrifflichen Diskurs. Er wendet sich gegen die Systematisie-rung, die Hierarchie und die Herrschaft der Inhaltsebene des Zeichens, der Begriffe,gegen die Herrschaft des Signifikats. Stattdessen knüpft er an der Ausdrucksebene,die Zeichenform, die Signikanten an, eine Haltung, die wir über Nietzsche bis heutebei Lacan und Derrida verfolgen können (Schiewe 1998,183). Diese sprachtheo-
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retische Position ist keine Aussenseiterhaltung. Sie ist der sowohl der Sprachtheoriewie der Linguistik vertraut, vielfach untersucht und bestätigt.
Die Sprache ermöglicht und bewahrt Genderkonstruktionen (auch andere Konstruk-tionen), und sie tut es mit Bezug auf Alltagstheorien ebenso wie mit Bezug auf alleWissenschaften in verschiedenen Hinsichten. Ich möchte ihren Einfluss mit Bezugauf Gender in den folgenden vier Hinsichten besprechen.
Genderkonstruktionen in der Wissenschaft durch
1) Metaphern2) Stereotype3) Konzeptpaare / binäre Konzeptualisierung
Beispiel: Natur Kultur: die Naturalisierung kultureller und sozialer Phänomene
4) vorwissenschaftliche / alltäglicheWahrnehmung, die in jede wissenschaftliche
Solche Konstruktionen sind nicht vermeidbar – sie können und sollen aber reflektiertund – wenn nötig – korrigiert werden. Gender wird seit den 70er Jahren als das soziale Geschlecht aufgefasst, als dieMänner- oder Frauenrolle. Im Gegensatz dazu wird Sex als Anatomie des Körpersund seiner physiologischen Abläufe aufgefasst. Gender meint die sozialen Kräfte, diedas Geschlechtsrollenverhalten formen und dieses Verhalten selbst. Die Beobach-tung und Beschreibung des Verhaltens von Transsexuellen (im Kontext der Ethno-methodologie, z.B. Harold Garfinkel) hat wesentlich zur Entwicklung desjenigenAspekts des Konzepts beigetragen, welcher Geschlecht nicht als Eigenschaft vonIndividuen konzeptualisiert, sondern als Aktivität betrachtet, an der das Individuumund das Gegenüber in der Kommunikation und in der Interaktion mitwirken, an dersie gemeinsam «bauen», «konstruieren». Deshalb spricht man von «Konstruktion»,von doing gender (Zimmermann/West 1987), von doing dominance und doing defe-rence oder subordination. Das Denken in Konstruktionen ist eine der aktuellen Kon-zeptualisierungen zur kognitiven Tätigkeit im Alltag wie auch in der Wissenschaft. Inder Wissenschaft besteht die Konstruktion im Bau von Theorien und meint die Mo-dellbildung als Architektur, die Schaffung von Konzepten, nicht als Abbild von Er-kenntnis, sondern als kognitiven Werkzeugmaschinenbau – in jeder wissenschaftli-chen Disziplin. Analoges gilt für das sogenannte Inszenieren: Es begründet eine Realität im ständi-gen Bestätigen und liefert damit eine aktuelle prozessuale Erklärung gegenüber einerhistorischen, die irgendwo in der Steinzeit oder im 18. Jh. einsetzt. Eine historischeErklärung für die Menopause ist die unsinnige Grossmutterthese: Es gibt die Meno-pause, weil es für das Überleben notwendig ist, Grossmütter zu haben. Dies gilt al-lerdings nur für die Mütter der Mütter, da sich die Mütter der Väter schädlich bzw. inhöherer Kindersterblichkeit auswirkten (vgl. NZZ am Sonntag, 23. 2.2003).
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Konstruktion und Inszenierung, doing gender sind Metaphern – Metaphern des Baus,der Bühne, des Machens im Sinne von Herstellen. Inszenierung ist Performanz, alsständiges Aufrechterhalten, Wachhalten, Installieren, Unterhalten, wie man ein Feuerunterhält, nicht wie man seine Gäste unterhält. Diese Metaphorik unterstellt, dass wirständig mitspielen, dass wir ständig etwas am Leben erhalten, immer wieder realisie-ren. Sie richtet den Blick auf Prozesse: Was geschieht jetzt wieder und wie geschiehtes jetzt wieder?Es kommt in der Geschichte, ebenso wie in der Wissenschaftsgeschichte immerauch der Moment, wo solche Metaphern kritisiert und überwunden werden. DieserPunkt ist noch nicht erreicht. Gemeinsam ist den aktuellen Metaphern als Analyse-kategorien – und das ist ihre Bedeutung für den aktuellen Diskurs – das Element desAgierens, des Herstellens mit Bezug auf Gender als Eigenfabrikation, als Produkt, andem die Individuen beteiligt sind, für welche die Interaktion eine Rolle spielt – nichtals Resultat einer quasi gegebenen und unbeeinflussbaren naturgeschichtlichen odersozialgeschichtlichen Entwicklung.
doing gender / dominance / subordination Herstellung, ProduktionPerformanz
Linguistik: Sprachgebrauch, jedesmaligeInanspruchnahme des abstrakten Sy-stems
Doing gender wird genauer als Konstruktionsprozess von Asymmetrie in der konkre-ten Situation verstanden, an dem alle Beteiligten mitwirken. Doing gender ist alsonicht einfach nur Produktion von Verschiedenheit durch Objektkommunikation wieKleidung, Schmuck oder durch Bewegung und durch den Einsatz unterschiedlicherkommunikativer Mittel (Schönthal 1998). Die Inszenierung von Geschlecht kann von den Produzierenden evtl. auch gestopptwerden – möglicherweise je nach Erfordernissen und Fokus der jeweiligen Interakti-on, was bisher allerdings noch nicht untersucht worden ist. Das ändert aber nichtsdaran, dass auch mit den Rezipierenden zu rechnen ist, die doing gender auch dannnoch wahrzunehmen vermeinen, wenn es kein wahrnehmbares doing gibt.
All das mag den Wissenschaftsbereich der Gender Studies beschäftigen, aber war-um auch die anderen Wissenschaften, warum die Biologie, warum die Soziologie etc. Gibt es Genderkonstruktionen in den Wissenschaften? Es gibt sie in allen Wissen-schaften – aufgrund der Bedeutung der Sprache als Struktur und als Kommunikati-onsmittel und ihrer Bedeutung für die Wahrnehmung, für das «blosse Sehen», dasein sprachliches Sehen ist. Es gibt – weit über die Lebenswissenschaften hinaus diegeschlechtsspezifische Beschreibung von geschlechtslosen Gegenständen – wiez.B. auch der Sprache – mithilfe von entsprechenden Metaphern. Was soll beispiels-weise die Kategorie des Genus in der Sprache? Die Sonne, der Mond. Da liegt eineÜberdetermination aus dem Fundus unseres Sprechens und Denkens vor, der die-sen gendergeprägten Fundus gleichzeitig bestätigt und aktualisiert.
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Geschlecht als Gender, sicherlich aber als Sex erscheint uns als ganz alltägliche undnatürliche Kategorie. Diese Alltäglichkeit wird u.a. durch Sprache und Kommunikationhergestellt, indem das System der Sprache Genera unterscheidet. SprachlicheAsymmetrien und Stereotype in der Benennung und Beschreibung der Geschlechtervermitteln Wertungen, Rangordnungen und Charakterisierungen von Weiblichem undMännlichem (Braun/Pasero 1997, Vorwort).
Ein Sprechen ohne Metaphern ist nicht möglich, auch nicht in der Wissenschaft. Metaphern liegen dann vor, wenn Wörter aus einem gegebenen Zusammenhang ineinen anderen übertragen werden, ein ständig wiederkehrender Vorgang, da wir fürneue Gedanken viel häufiger vorliegendes Sprachmaterial brauchen, als dass wirneue Wörter und Fügungen bilden. Metaphern – auch gendergeprägte Metaphern –sind überall, bei der vorwissenschaftlichen Wahrnehmung, im beruflichen Alltag undin der wissenschaftlichen Analyse prägend.
• Die Erde als Raumschiff – ehemals gängige, heute veraltete Metapher der
Geographie, der Umwelt- und Klimaforschung – impliziert einen Captain unddie Steuerbarkeit der Vorgänge
• Die Metaphern der Natur: die wilde Natur, die zerstörerische Natur, die schüt-
zenswerte Natur, die arme Natur, der man helfen muss
• Die Eierstöcke als Kapital der Frau, das verbrauchte Kapital und die Meno-
pause (keine Metapher des 19. Jahrhunderts, sondern aktuelle Aussage einesführenden Gynäkologen, BaZ 20. 2. 2003, 28), impliziert einen dummen Um-gang mit dem Kapital: Es wird nämlich aufgebraucht von der offenbar wenigvorausschauenden Frau und ihre Wertlosigkeit in der zweiten Lebenshälfte istebenso hausgemacht wie zwingend.
• Die aus dem englischen credit points (falsch) ins Deutsche lehnübersetzten
Kreditpunkte, die den Eindruck erwecken könnten, die Universität gäbe damitso etwas wie Kredit, dabei ist Anerkennung gemeint.
Die feministische Kritik der patriarchalen Naturwissenschaft (Maurer 1993, 184) ana-lysiert – wie diejenige anderer Wissenschaftsbereiche auch – Beobachtungen, Be-schreibungen, Untersuchungsanlagen, Analysekategorien, Modelle und Theorien aufAbwertung und Unsichtbarmachen des Weiblichen vor dem Hintergrund einer patri-archalen, männerzentrierten Sichtweise. Beispiel 2:Ein Beispiel für eine solche männerzentrierte Beschreibung eines scheinbar naturge-gebenen Sachverhalts bilden die Hühner, bei denen zunächst einmal der Hahn mit-gemeint ist. Das könnte darauf hindeuten, dass die Sprache auch Einseitigkeitenkennt, welche die weiblichen Lebewesen bevorzugen, wenn der Grund nicht ganzeinfach darin läge, dass die Hühner für die Menschen ungleich wichtiger sind undHähne ausgesprochen lästig sein können.
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Das geht ja auch aus dem Sprichwort hervor, wonach gelten soll: Mädchen, die pfei-fen, und Hähnen, die krähen, sollte man beiden die Hälse umdrehen. Beim zoologischen Sprechen über Hühner+Hahn-Gruppen bilden die Hühner den sobezeichneten Harem, ohne dass man darüber nachdenkt, ob dieser Ausdruck alsMetapher berechtigt ist. Dazu werden die Verhältnisse zwischen den weiblichen undmännlichen Tieren als Überordnungs- und Unterordnungsverhältnisse beschrieben:so, wenn man ausführt: «Die ranghöchsten Hähne haben ständig Hennen bei sich. Jeder verteidigt seine Hennen gegen seine Nachbarn. Der Hahn spielt als Revierbe-sitzer gegenüber seinen Hennen die Rolle der ebenfalls revierbesitzenden Gluckegegenüber ihren Küken.» Weiter wird von den Hähnen gesagt, dass sie für die Hüh-ner Futterstellen suchen und nach bedrohlichen Greifvögeln Ausschau halten. Dabeiliesse sich die reale beobachtbare Situation genauso gut, aber auch nicht wertfreibeschreiben, wenn man ausführen würde, dass sich mehrere Hennen gemeinsameinen Hahn halten für Befruchtungszwecke sowie für weitere Hilfsdienste (nach Mau-rer 1993, 187). Der Harem als Metapher impliziert ausgesprochene Abhängigkeits-verhältnisse, und die Metapher renaturalisiert eine bestimmte menschliche Organisa-tionsform im Sinne von: Ein Harem ist etwas ganz Natürliches, das kommt ja auchbei den Hühnern vor.
Wenn wir also bestimmte Begriffe und Erfahrungen aus der menschlichen Gesell-schaft anwenden (wie Harem, Besitzdenken, seine Hennen, ihre Küken), so liegenhier methodisch nicht ausreichend reflektierte Beobachtung und sprachkritisch nichtausreichend reflektierte Beschreibung vor.
Ein weiteres Dokument dieses male bias liefert die Beschreibung des Verhaltens vonWeibchen z.B. bei einer bestimmten Sorte von Bergschafen als «gleich» wie dasjeni-ge von jungen Männchen. Damit wird implizit und expliziert formuliert die Auffassungverbunden, dass nur die alten Widder sich wie vollentwickelte Bergschafe benehmen. Die Weibchen werden also an den Standards der Männchen gemessen (Maurer190). Schliesslich – erfahren wir – und auch wieder unsere Kinder – aus naturkundli-chen Fernsehsendungen und populären Buchdarstellungen generell folgendes überdie Bewertung von Grösse und Aussehen bei Männchen und Weibchen im Tierreich:Ist das männliche Tier grösser als das weibliche, heisst es: «das prächtige, mächtigeMännchen». Ist hingegen das Weibchen grösser, wird es angesprochen als: «dasgrosse, schwere, plumpe Weibchen». Das Reden vom «unscheinbaren Weibchen»ist geradezu phraseologisch fest. Es würde nichts dagegen sprechen, es vergleichs-weise auch als «wunderbar getarnt», «seiner Umgebung optimal angepasst» aufzu-fassen und zu bezeichnen.
Wie die Beschreibung des tierischen Verhaltens ist auch die Beschreibung der Pflan-zenwelt, sogar ihr Fundament, mit Metaphern der Weiblichkeit und Männlichkeit ver-sehen. Linné gründete sein System auf die Unterscheidung männlicher und weibli-cher Pflanzenteile, nach denen er die 65 Ordnungen unterteilt, welche er nach denentsprechenden Kategorien bei den weiblichen Blütenteilen bestimmte. Das wurdebereits im 18. Jahrhundert kontrovers diskutiert. Besonders angemessen ist dieseKategorisierung den Pflanzen schon aus dem Grund nicht, weil die meisten Pflanzen
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nach einer solchen anthropomorphen sexuellen Einteilung als Hermaphroditen, alsZwitter bezeichnet werden müssen. Die Zwischenform oder die Kombinationsform istder Normalfall der bipolaren Kategorien. Ansatzpunkt für feministische Kritik daran ist nicht so sehr die Verwendung von Me-taphern der Weiblichkeit und der Männlichkeit als der Transport von kulturell festge-legten Vorstellungen, die damit verbunden sind. Beispiel 3Ruth Hubbard hat das Beispiel der Fadenalgen analysiert: Bei den Fadenalgen gibtes nicht zwei an äusserlichen Merkmalen unterscheidbare Geschlechter (oder, um esanders auszudrücken, fortpflanzungsrelevante morphologische und funktionale Un-terschiede). Sie sind äusserlich alle gleich und über innerliche Unterschiede hat bis-her niemand etwas herausgefunden. Das Fortpflanzungsverhalten der Fadenalgenwird aber unter der Bildlichkeit von Männchen und Weibchen beschrieben: Die Zellendes einen Fadens verhalten sich wie ein Männchen, diejenigen des anderen wie einWeibchen. Das sieht man daran, dass die männliche Zelle «aktiv zur anderen kriechtoder schwimmt», währenddem die weiblich Zelle «passiv bleibt». Hubbard kommen-tiert:
«Der Zirkel kann sehr einfach hergestellt werden: Man beginnt mit den viktorianischen [also hi-storisch verortbaren] Stereotypen vom aktiven Mann und der passiven Frau, betrachtet dannTiere, Algen, Bakterien und Menschen und nennt alles passive Verhalten weiblich, aktives oderzielorientiertes Verhalten hingegen männlich. Und es funktioniert! Das viktorianische Stereotypist biologisch determiniert: Sogar Algen verhalten sich entsprechend.» (Hubbard, zitiert nachMaurer 1993, 198)
Auch hier liegt eine Renaturalisierung vor.
Stereotype – auch gendergeprägte Stereotype – beeinflussen von der Wahrnehmungbis zur wissenschaftlichen Erklärung jede Phase der Analyse und der Interpretation. Ein Stereotyp ist eine kognitive Einstellung, die einen Bezug zur Wirklichkeit hat, aberdie Wirklichkeit undifferenziert und einseitig erfasst.
Bei Metaphern unterscheidet man metaphorische Modelle, z.B. das Gespräch alsKampfszene, die zu einem solchen Modell gehören. Wenn man eine entsprechendeUnterscheidung der Stereotype machen würde, so wären die genderrelevanten ste-reotypischen «Modell-Merkmale» die folgenden:
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Beispiel 4: Schätzung – Rechnung• Die Vermutung einer Frau ist viel genauer als die Gewissheit eines Mannes (ge-
• Verrechnet haben wir uns noch nie, höchstens bei den Eckwerten verschätzt.
Ampeln wurden auf Grün geschaltet, die auf Rot hätten bleiben müssen. (State-ment von Bundesrat Kaspar Villiger in: Facts 4/2003, 21)
Beide Texte bringen das geschlechtsspezifische Stereotyp zum Ausdruck:Frauen vermuten bzw. schätzen (statt zu rechnen) – auch wenn die Vermutungen,bzw. Schätzungen dann sogar noch genauer sind als die Gewissheiten bzw. Rech-nungen der Männer. Der Formulierung Villigers kann man entnehmen, dass das Verrechnen als schlim-mer empfunden würde als das Verschätzen mit Bezug auf die «Eckwerte», welchedie Grundlage der Rechnung bilden. Entsprechend diesem Stereotyp können Männer es tatsächlich weniger schlimm fin-den, sich zu verschätzen, solange sie sich nur nicht verrechnen. Dabei sind die zu-grundeliegenden Schätzungen von «Eckwerten» ja viel fundamentaler als die daraufbasierenden Rechnungen.
Solche Stereotype können bei der wissenschaftlichen Interpretation relevant werden,wenn sie sich darin konkretisieren, dass Männer und Frauen sich bei demselbensubjektiven Sicherheitsgrad unterschiedlich äussern – eher rechnerisch oder eherschätzend – und die Rezeption dieser Unterschiedlichkeit nicht Rechnung trägt.
Dass weibliche biologische Prozesse weniger wert sind als männliche, oder zumin-dest als weniger wertvoll dargestellt werden: Das hat Emily Martin (1993) in einemAufsatz mit dem Titel: Ei und Sperma. Eine wissenschaftliche Romanze aus demStoff, aus dem die Geschlechterstereotypien sind gezeigt. Martin zeigt darin, wie inLehrbüchern der weibliche Zyklus als Produktionsbetrieb mit regelmässigen Be-triebsunfällen beschrieben wird, wobei die Betriebsunfälle in der Menstruation beste-hen, die als Panne der Produktion und Verschwendung von Ressourcen dargestelltwird, weil da Muster ohne Wert hergestellt wurden, unverkäufliche Ware, Schrott, derausgestossen werden muss. Das wäre weniger auffällig, wenn nicht gleichzeitig diemännliche Spermaproduktion, die an sich noch viel mehr für die Fortpflanzung Funk-tionsloses produziert, mit der Gesundheit, Kraft und Stärke des männlichen Körpersin Verbindung gebracht wird, der diese erstaunliche und noch nicht bis ins Detail ge-klärte Leistung der Produktion von mehreren hundert Millionen Spermien täglichwunderbarerweise vollbringen kann.
Auch die sprachwissenschaftliche Forschung ist – sogar wenn sie an Genderfragenarbeitet – vor der unerwünschten Wirkung von Stereotypen nicht gefeit. Die linguisti-sche Forschung hat zunächst einmal herausgefunden, was Frauen alles nicht ma-chen: «nicht lange reden», «nicht unterbrechen» etc. Der weibliche Sprachstil er-schien ungeeignet für Durchsetzung, Führung etc. Das war eine Genderkonstruktionin der Wissenschaft. Die späteren Versuche, Frauensprache aufzuwerten, bliebendiesem Stereotyp verhaftet, indem sie stereotype weibliche Eigenschaften als zu-
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treffend für Gesprächsteilnehmerinnen akzeptierten und lediglich positiv umwerteten. Beide Sichtweisen sind affirmativ und bleiben in der vorgegebenen Konstruktion ge-fangen (Braun/Pasero, 1997, Vorwort).
Die Linguistik bewahrt die Stereotype aber auch in der Funktionszuschreibung vonAnalysekategorien auf: Sie analysiert Sprachverhalten und dazu gehören Phänome-ne wie Unterbrechungen im Gespräch oder Formulierungen wie «ich glaube»,«wahrscheinlich», «etwa», «so eine Art von», welche die Linguistik hedges oderHeckenausdrücke nennt. Es ist nun stereotypisch, dass die Unterbrechungen, dieeher den Männern zugeordnet werden, als Dominanzmittel gelten, währenddem diehedges, die als frauentypisch gelten, als Unsicherheitsmittel aufgefasst werden. Auchdas Stellen einer Frage oder das Formulieren einer Frage als Diskussionsbeitrag giltals schwaches Kommunikationsmittel. Es braucht den Kontrast mit einer ganz ande-ren Thematik, damit das klar wird: Wenn man in Handbüchern über Unternehmens-führung und betriebliche Kommunikation nachsieht, findet man etwas ganz anderes:Wer fragt, führt. Fragen gilt hier als Position der Stärke. Auf diese Idee kommen Lin-guistInnen gar nicht so leicht, wenn sie die Funktion von Fragen, die im Kontext desfachlichen oder fachexternen Gesprächs gestellt werden, im Voraus festlegen.
Auch in der Sozialforschung spielt das Stereotyp in die Konzeptbildung hinein, sogargegen den eigenen reflektierten Standpunkt in der Wissenschaft: Maschewsky(1991) beschreibt die Symptomschilderung von Frauen in der Kommunikation mitÄrzten als «diffus». «Diffus» hat negative Konnotationen und transportiert das Ste-reotyp von den wenig analytischen Frauen. Alternative Adjektive sind die Beschrei-bung als paraphrasierend, differenzierend, suchend – gegenüber den engen, wie-derholenden Symptomschilderungen von Männern. Das Stereotyp macht sich alsodurchaus auch in der Berufsarbeit auf Schritt und Tritt breit. Beispiel 4: Arzt-Patienten-Kommunikation
Eh, ebe • • geschter hed das agfange mit däm
P: ziemlich starke Hueschte / • Hueschte bikho, aso so wie normali / eh / sisch e
Bakterieinfeggt, wil • • dr Usswurf isch gäl • • und vo hütt in dr Nacht isch es sehr schlimm
gsi. Da / do hani fascht kei Luft • meh bikho, also so sehr starki Atemnot, • • wo au jetzt no
P: teilweise vorhanden isch, wo zum Teil e biz stärker, e biz schwächer isch, und •huh
P: ich ha / Fluimucil hani gkhauft und ha ghofft, dass das e biz öppis wirggt. Hed aber jo • • nid
Isch villicht no wichtig zum Säge: ich ha e e Ventolin
P: no, wil ich ha • Aschthma, und das bruuchi zum Teil sporadisch. Aber das nützt jetzt
überhaupt nütt, • oder fa:scht nütt. • • Und was au wichtig isch: bim Hueschte isch es / aso
dr Hueschte isch sehr schmärzhaft, und es löst sich fascht nütt, und au im Rugge hinde
stichts richtig iine, wenni huescht, ((holt einmal tief Luft)) und au s Ii:schnuufe, wenni tief
13a P: Luft will hoole, denn isch das eh sehr unagnähm. ((räuspert sich))13b A: Hmhm. ((schreibt, 7 sec.))14a A: Okay. • Aso chani nomol churz zämmefasse?
Sit geschter heds agfange mit • starkem
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Hmhm, • Do isch au no meh vüürekho. Hütt ku/kriegi
Hmhm. Denn in dr Nacht isch drzue cho, dass Sie Atemnot
A: Sie hän •• aso bekannts Aschthma und
• • Äh, und s Fluimucil hed au nütt ghulfe!?
P: no dungkt, heds öppis gholfe, aber hütt am Mo:rge • • eh eh, aso geschter han ich es / durch
20a P: dr Daag ischs noni so schlimm gsi. Do hani ebe no eh Uswurf gha, und do hed sich das20b A:
21a P: besser glöst, und momentan ischs völlig verhoggt. ((ächzt))
(Projekt der Universität Basel, Gender in der ärztlichen Kommunikation. Leitung:Zemp, Elisabeth, Häcki Buhofer, Annelies; Wissenschaftliche Mitarbeit: MichelaCeschi, Patricia Farahmand. Transkription: Esther Wiesner)
Wir tendieren dazu, übliche Alltagsannahmen zu treffen und so viel mehr zu wissen,als uns gesagt wird – bei oben stehendem Gespräch etwa, ob es sich bei derArztperson um eine Frau oder einen Mann handelt, bzw. ob eine Patientin oder einPatient am Gespräch beteiligt ist. Je nachdem, was angenommen wird, gehen ande-re Verstehenselemente in die Analyse ein.
Eine wesentliche Eigenschaft des Stereotyps ist es, dass es seine Wirkung hem-mungslos und unkontrolliert entfaltet. Dass die Stereotype immer mit dabei und im-mer aktivierbar sind, ist einer der Gründe, weshalb die Ergebnisse der Genderfor-schung die Stereotype oft bestätigen.
Gegensätzliche Begriffspaare wie Natur – Kultur, Dominanz – Kooperation,Sex –Gender sind kulturell geprägt, also wesentlich durch die historische Tiefe einer patri-archalischen Kultur beeinflusst, also selbst auch gendergeprägt.
Wir sind es gewohnt, uns die komplexesten Gegenstände der Wissenschaft in Mo-dellen zu denken, die zwei Seiten oder drei Ecken haben: In der Linguistik gibt esmehrere davon, das Zeichenmodell – bestehend aus signifié und signifiant – oderdas sprachtheoretische Modell der Funktionen, das Ausdrucksfunktion, Darstel-lungsfunktion und Appellfunktion umfasst. Ebenso sind wir es gewohnt, in Gegen-satzpaaren zu denken: Natur – Kultur, Dominanz – Kooperation, Sex – Gender. Sol-che Begriffspaare dienen uns als geistige Schubladen, sie dienen einer grundlegen-den Strukturierung und einer ersten Ordnung, aber sie verführen auch dazu, die bei-den Bereiche in ihrer Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit zu fixieren. Demge-genüber gibt es in der Wirklichkeit Kontinua (und multipolare Begriffsfelder, wie z.B. in der Sprachtypologie) auch in Bezug auf Sex und Gender:
«Die sogenannte Natur hat Unterbrechungen eingebaut; auf dem Kontinuum männlich/weiblichsind vielfältige Mischungsverhältnisse möglich, die die Gesellschaft nicht sieht, weil kulturell nurzwei Geschlechter vorgesehen sind.» (Pasero/Gottburgsen 2002, Vorwort)
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Kultur heisst nicht zuletzt auch, dass sprachlich zwei Geschlechter vorgesehen sind. Dass das dritte Geschlecht für die Sprache das sächliche heisst, lat. ne-utrum, wederdas eine noch das andere, hilft nicht viel. Judith Butler spricht auch von «Zwangshe-terosexualität» und der Aufgabe, definierende Institutionen, wie sie es nennt, zu de-konstruieren. (Butler 1991, 9)
Nach Beispielen für Kontinuumsphänomene müssen wir nicht lange suchen, wir fin-den sie im Bereich der Sportlerinnen, die daraufhin getestet werden, ob sie Frauensind – das Umgekehrte stand offenbar nie zur Debatte – bei denen sich immer wie-der herausstellt, dass sie es, je nach verwendeter Testmethode, nicht sind, obwohlsie für die meisten Menschen wie Frauen aussehen, sich so fühlen, so erzogen wor-den sind, sich so verhalten etc.
Solche Befunde haben mit dazu geführt, dass im heutigen Forschungsstand zwi-schen sex und gender differenziert wird. Die Ausweglosigkeit und Unhaltbarkeit derAuffassung, dass es immer ein Entweder/Oder gibt, dass Mann/männlich grundsätz-lich gleichgesetzt werden kann mit dominant, aggressiv, dass Frau/weiblich grund-sätzlich gleichgesetzt werden kann mit kooperativ, machtlos etc. hat dazu geführt,sex und gender zu unterscheiden. Das war ein Fortschritt. Allerdings konnte man beidiesem Entwicklungsschritt der Theorie nicht lange stehenbleiben. Die Natur bliebdabei der unhinterfragbar scheinende Teil.
Auch der Feminismus und die feministische Forschung haben die binäre Einschrän-kung der Geschlechtsidentität zum Ausgangspunkt genommen. Die Diskursanalysebeispielsweise will zeigen, wie die sexuelle Differenz innerhalb des Diskurses alsnotwendige Merkmale der leiblichen Identität konstruiert werden (vgl. Butler 1991,144). Eine poststrukturalistische Sicht wie diejenige Foucaults (1979) fragt nicht mehr nachden Ursachen, sondern nach dem Sinn solcher Oppositionen für die Gesellschaft. Soein Sinn kann darin bestehen, dass die Natur Ursachen und Erklärungen für Erschei-nungen liefert und dass man in der Folge dieser «natürlichen» Erklärungen nichtweiter nach anderen (sozialen, historischen .) Erklärungen suchen muss.
Foucault entwickelt in Sexualität und Wahrheit die Auffassung, dass die eindeutigeKonstruktion des Sexus (man ist sein eigenes Geschlecht und nicht das andere) ers-tens im Dienste der gesellschaftlichen Regulierung und Kontrolle der Sexualität steht,die Vielfalt disparater Sexualfunktionen künstlich vereinheitlicht und dann innerhalbdes gesellschaftlichen – auch des wissenschaftlichen Diskurses – als Ursache auf-fasst, das Empfindungen, Lüste, Begehren aller Art als geschlechtsspezifische ver-stehbar macht. Foucault schlägt den Begriff der Sexualität als offenes, vielschichti-ges, geschichtliches Diskurs- und Machtsystem vor.
Gibt es – vor allem für die Naturwissenschaften – nach solchen Überlegungen nochdie Möglichkeit der Wissenschaft? Fausta Sterling, eine Naturwissenschaftlerin undkompetente Kritikerin des Binarismus, umreisst ihre Position so:
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«Als Biologin glaube ich an die materielle Welt. Als Wissenschaftlerin glaube ich daran, spezifi-sches Wissen aufzubauen, indem ich Experimente durchführe. Aber als feministische Zeuginund in den vergangenen Jahren als Historikerin, glaube ich auch daran, dass das, was wir‹Fakten› über die lebendige Welt nennen, keine allgemeingültigen Wahrheiten sind.» (Sterlingin Pasero/Gottburgsen 2002, 25)
Wenn nicht alles Natur ist, was Natur scheint, wenn nicht überall Natur drin ist, woNatur draufsteht (vgl. Nur wo Nutella draufsteht, ist auch Nutella drin), wie kommt esdann zu einem solchen Etikettenschwindel? Es kann einen Sinn haben, ein Phäno-men als naturgegeben zu betrachten, aber welches ist der Vorgang, der es zu Naturmacht? Es gibt einen ständigen Prozess der Naturalisierung von Geschlecht. Wiedieser Vorgang verlaufen kann, soll im Folgenden erläutert werden. Beispiel 5: Die Natur der Frau – die Natur des Mannes und die Herstel-lung/Konstruktion der Naturen – durch Inszenierung, Performanz, Doing am Beispielder Setzmaschinen
Das Design der Setzmaschinen bzw. die technische Forschung und Entwicklung im19. Jahrhundert folgen zunächst den Stereotypen. Es sah so aus, als ob aus derSetzmaschine ein Frauenarbeitsplatz werden würde und entsprechend wurde dieMaschine gestaltet. Die Tatsache, dass die Männer gegen Ende des 19. Jahrhun-derts aus den Arbeitsplätzen der überholten Handsetzerei in den mechanisierten Be-ruf drängten und die Frauen vom Markt verdrängt wurden, hat sich im Design derArbeitsplätze ausgewirkt. Solange die Frauen daran arbeiten sollten, bis in die 80erJahre des 19. Jahrhunderts, war die Setzmaschine ein Klavier mit Kirchenfensterde-koelementen. Die sitzende Tätigkeit und die Tastatur ähnlich dem Klavier dequalifi-zierte die Arbeit. Sie wurde schlecht bezahlt, sie war ja auch nicht anstrengend. DieMaschine erleichterte schliesslich die Arbeit, wie die Haushaltsmaschinen bis heutedie Arbeit soweit erleichtern, dass sie fast gar nicht mehr getan werden muss undden Frauen überlassen werden kann. Als deutlich wurde, dass die Setzmaschine ausder Zukunft des Druckereigewerbes nicht wegzudenken war, begannen die männli-chen Angestellten zu argumentieren, dass nur die gelernten Setzer die Maschinenbedienen könnten. Als die Männer das Setzmaschinen-Zepter übernahmen, wurdedaraus eine «richtige» Maschine, kein Klavier mehr, kein Kirchendekor, die – in derspäteren Argumentation wohlverstanden, nicht in der Realität – von den Frauen auchgar nicht mehr bedient werden konnte. Man sieht dem Ding schon an, dass es dafürdie Körperkräfte und das Sachverständnis eines Mannes braucht. (Vgl. Wek-ker/Studer/Sutter 2001; Robak 1996)Plötzlich war die Natur des Mannes gefragt, nicht mehr diejenige der Frau. SolcheVorgänge zeigen die Historizität, ja gesellschaftliche Opportunität von vorgeblich ahi-storischen Konzepten wie Natur und biologischem Geschlecht, die durch ein kon-zeptuelles Gegenstück wie Kultur oder Gender als noch gefestigter erscheinen undin allen Wissenschaften eine Rolle spielen können. Regina Wecke (Wek-ker/Studer/Sutter 2001, 31) beschreibt den Vorgang der Selbstnaturalisierung vonGeschlecht am Beispiel dieser Setzmaschine: Die Festlegung einer Arbeit als Frau-en- oder Männerarbeit leitet einen zweiten Prozess ein. In ihm wird Eignung als Ei-genschaft umdefiniert und von der Tätigkeit in die Subjekte, die sie ausüben, verla-
Referate der Klausurtagung «Die Sprache(n) und Bilder der Wissenschaft» des Rates der schweizerischen wis-
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gert. Maschinen werden aufgrund ihrer Bedeutung im Arbeitsprozess männlich kon-notiert. Die Kompetenz im Umgang mit Maschinen, die eigentlich erst Folge der Um-definition der maschinellen Arbeit zur Männerarbeit war, wurde zur männlichen Ei-genschaft und damit zur Voraussetzung für die Tätigkeit und zur Geschlechtseigen-schaft schlechthin. Der «Prozess der Herstellung» von Männlichkeit «ist im Ergebnisverschwunden».
Die Renaturalisierung ist auch sehr wirksam, wenn sie das Tierreich betrifft, nicht nurbei den Hennen als Haremsdamen. Marianne Sommer (in Pasero/Gottburgsen 2002)analysiert die Beiträge in National Geographic (einer populärwissenschaftlichen Zeit-schrift), die sich mit Primaten befassen, und stellt fest, dass die menschlichen Rollenund Verhaltensvorstellungen auf die Affen übertragen werden: Männchen werden alsaktive Streiter um Dominanz und Zugang zu Ressourcen, zu denen auch die Weib-chen gehören, dargestellt, währenddem Weibchen passiv und vorzugsweise alsMutter gezeichnet werden. Dadurch werden die konservativen Rollenbilder dermenschlichen Gesellschaft ebenfalls naturalisiert. Die Wirkung ist: Seht her, so ist esja auch bei den Affen, in der nicht-menschlichen, a-kulturellen Natur, von der Naturso vorgesehen. Eine logische Folge dieser Sicht ist, dass auch die Gegensatzbildung Natur undKultur/Sozialisation durch Kultur überformt ist. Die Natur ist somit nicht der Gegen-satz, sondern der konstruierte Gegensatz. Als Folge davon ist die Unterscheidungvon sex und gender, die als Differenzierung von Mann und männlich, Frau und weib-lich herausgearbeitet worden ist, gar nicht mehr so zwingend. Nicht, weil alles demsex zuzuordnen wäre, sondern weil alles oder so vieles gender ist:
«Je angestrengter wir nach einer einfachen physiologischen Basis für Sex suchen, desto klarerwird, dass Sex keine rein physische Kategorie ist. Welche körperlichen Signale und Funktionenwir als männlich oder weiblich definieren, ist in unseren Vorstellungen von Gender immer schoninhärent enthalten.» (Sterlin in: Pasero/Gottburgson 2002, 22)
Das Kommunikationsverhalten ist genderbestimmt – in der Produktion ebenso wie inder Rezeption. Das ist nicht nur für die Linguistik von Bedeutung, sondern für jedeWissenschaft, zu deren Daten auch Sprach- und Kommunikationsdaten gehören,und sei es auch nur auf der Ebene der Wissenschaftsentwicklung, der Paradigmen-wechsel, der Wissenssoziologie etc. Beispiele aus der Linguistik sind erstens die se-lektive Wahrnehmung und zweitens die vorwissenschaftliche gendergeprägte Wahr-nehmung des Kommunikationsverhaltens.
Wenn man denkt, viele Wissenschaften hätten keine Kommunikationsdaten, so seihier an das Beispiel der Medizin erinnert: Die medizinische Konsultation beruht aufdem Gespräch; Diagnose und Therapie können sich bis zu 90% aus gesprächswei-ser Kommunikation ergeben. Dieses Beispiel zeigt deutlich, inwiefern Gendereinflüs-se und Genderunterschiede eine grosse Rolle spielen können.
Zur Wahrnehmung gehört zunächst die selektive Wahrnehmung: Man oder fraunehmen in den Blick, was sie interessiert (vgl. dazu Hausen/Nowotny 1986).
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Der Blick – der männliche Blick – war eine der ersten Perspektiven der feministi-schen Wissenschaftskritik. Darunter wurde eine männliche Interessenlage als Basisder Wahl und Akzeptanz wissenschaftlicher Gegenstände verstanden. So weigertensich beispielsweise die Nationalökonomen, Hausarbeit als produktive Tätigkeit zusehen und zu analysieren. Sie wollten Hausarbeit als Akte der Lebensführung, derLebensausgestaltung und der aus Liebe geübten fürsorglichen Betreuung empfindenund auffassen: «Es widerstrebt dem gesunden Gefühl, hier den Massstab wirtschaft-licher Bewertung anzulegen» (Rudolph in Hausen/Nowotny 1986, 135). Die genderbestimmte Wahrnehmung von Sprache und Kommunikation hat auch inder linguistischen Forschungsgeschichte zu Genderkonstruktionen geführt, die imNachhinein gesehen unerwünscht und inadäquat waren. Ausserhalb der Sprachforschung, die sich für geschlechtsspezifischen Sprachge-brauch interessiert, ist die Forschungssituation bereits lange Zeit deplorabel: Es gibtzwar Bereiche, wie die Soziologie, in denen der Faktor Geschlecht schon seit länge-rer Zeit eine Rolle spielt: die Soziolinguistik, die Dialektologie oder die Forschung zurgesprochenen Sprache. Leider kann diese Forschung in Bezug auf das geschlechts-spezifische Sprechen nur eine «Verworrenheit der Erkenntnisse» diagnostizieren(Vgl. Klein 1981, 160). Das Sprachverhalten von Frauen wird – auch in Grossprojek-ten – von vornherein negativ bewertet und ist demzufolge weniger oft untersuchtworden. Den Frauen wird vorgeworfen, dass sie in ihrem Sprechen Gegentendenzenzum Sprechen der Männer zeigen sowie, dass ihr Sprechen «mangelnde Gerichtet-heit» zeigt, d.h. offenbar dass die Regelmässigkeiten ihres Sprachverhaltens nichtauf den ersten Blick ersichtlich sind. Am schlimmsten aber ist aus sprachsoziologi-scher und dialektologischer Sicht, dass sich die Frauen bei der Konservierung dia-lektalen und bei der Übernahme standardsprachlichen Sprechens anpassen. IhreSprechweise ist daher nicht ihre eigene, keine autochthone, sondern eine undefinier-bare und unbestimmte. Die Frauen sind daher selber schuld, wenn sie dadurch fürernsthafte wissenschaftliche Untersuchungen uninteressant werden.
Mit dem Anpassungsverhalten wird den Frauen implizit etwas vorgeworfen, was beiden Männern z.B. unter dem Gesichtspunkt des Sprachwandels oder des situations-gerechten Sprechens untersucht wird. (Auch in anderen Bereichen, z.B. beimSchreiben literarischer Texte wurde die Produktion der Frauen unter dem Gesichts-punkt der Anpassung gesehen und aus dem literarischen Kanon ausgeschlossen.)Das Problem liegt in der diffamierend verwendeten Kategorie der Anpassung selbst. Es ist der wissenschaftliche Sprachgebrauch, der hier in seiner Problematik wahrge-nommen werden sollte. Wenn Mädchen in der Schule die Sprache des Lehrers oderder Lehrerin aufnehmen und übernehmen, ist das angepasster und beeinflussterSprachgebrauch (vgl. Klein 1981, 159). Wenn Buben dasselbe tun, so haben sie ihresprachliche Kompetenz erweitert. Wenn Frauen über verschiedene sprachliche Stileverfügen, passen sie sich selbstredend negativ an, bei Männern hingegen kommtdamit ihre ausgeprägte sprachliche und soziale Kompetenz zum Ausdruck.
In der Wissenschaftsgeschichte war der männliche Blick sehr ausgeprägt: Der SDS,der Sprachatlas der Deutschen Schweiz, dessen Daten in den 40er und 50er Jahrenaufgenommen wurden, hat zum grössten Teil Männer befragt. Rudolf Hotzenköcherle
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spricht von den idealen Eigenschaften des Gewährsmannes: «Intelligenz», «geistigeBeweglichkeit» etc. Der Ortspunkt Basel beispielsweise wird gebildet von vier Män-nern. Nur für die Bereiche «Frauenarbeiten» und «Kartoffel- und Gemüsebau» wurdeeine einzige Frau hinzugezogen. Wenn es nicht gerade um die Eigenschaften desidealen Gewährsmannes geht, so ist in den Publikationen zu den Atlanten in ge-schlechtsabstrakten Ausdrücken von Gewährsleuten und Gewährspersonen etc. dieRede. Nicht nur, dass Frauen hier nicht mitgemeint sind, der Sprachgebrauch ver-deckt zusätzlich diesen Umstand.
Als «interessantes» und «leidiges» Problem erscheinen die geschlechtsspezifischenSprechweisen noch 1981 in der Publikation zu einem deutschen Grossprojekt (EvaKlein 1981, 158), dem sprachsoziologisch ausgerichteten Projekt, das die Mundart imGesellschaftswandel untersucht und das in den 70er Jahren realisiert wurde. Unter-sucht wurde die Grundgesamtheit der männlichen Berufstätigen im Alter von 21 – 65Jahren. Man nannte die Beschränkung auf Männer «Konstanthaltung der VariablenGeschlecht».
Begründet wird die «Konstanthaltung der Variablen Geschlecht» resp. natürlich dieAusschaltung der Frauen aus der Grundgesamtheit damit, dass Hausfrau kein Berufsei, und dass die Aufnahme berufstätiger Frauen in die Stichprobe nicht möglich sei,wenn man hinreichend homogene Gruppen und entsprechende Kontrollgruppen bil-den wolle. Bis zum heutigen Tag werden mit den so genannten Rekrutenprüfungenvon mehr als 33 000 jungen Männern wissenschaftlich relevante Daten erhoben, diedann über Verhalten und Einstellung der jüngeren Generation Aufschluss geben(Vgl. Klappentext Schläpfer/ Gutzwiler/ Schmid). Im Falle der Erhebung «Sprachen inder Schweiz» wurden die Daten durch 1432 Befragungen von jungen Frauen korri-giert und ergänzt.
Wenn das Sprachverhalten von Frauen mituntersucht wird, so wird es verantwortlichgemacht für die «Unruhe im Tabellenbild». Entsprechend äussert sich Arno Ruoff,der in seiner Publikation über «Grundlagen und Methoden der Untersuchung gespro-chener Sprache» von 1973 schreibt: «Tatsächlich sind [die Frauen] es aber, die beiGleichartigkeit im Sprachverhalten der Männer oftmals Unruhe ins Tabellenbild brin-gen durch unerwartete Gegenströmungen und uneinheitliche Gerichtetheiten.»(Ruoff 1973: 245), (vgl. Kotthof 1992).
Dieser Blick hat dazu geführt, dass die Frauen in allen Wissenschaftsbereichen imbesten Fall mitgemeint waren. Soweit solche Einseitigkeiten und Versäumnisse refle-xiv doch relativ leicht einzusehen sind, wenn auch keineswegs behauptet werdensoll, dass damit nicht ein langer Kampf um Dominanz, Macht etc. verbunden war,soweit kann der Blickwinkel erweitert und korrigiert werden.
Viel schwieriger ist es mit Aspekten des Blicks, der Wahrnehmung generell, die nichtleicht bewusst zu machen sind, mit dem vorwissenschaftlichen Verstehen. Die Unter-schiede zwischen männlichem und weiblichem Sprachverhalten sind auf der sprach-lichen Handlungsebene, das ist das eine. Die Unterschiede aber auf der Wahrneh-
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mungsebene bilden noch einmal einen völlig neuen Problemkreis. Sprachverhaltenvon Männern wird von den am Gespräch Beteiligten und von den Beobachtendenbeispielsweise generell als dominanter wahrgenommen, Sprachverhalten von Frauenals weniger dominant – unabhängig davon, was aus linguistischer Sicht analysier-und messbar vorliegt.
Die Überprüfung einer der Hypothesen, dass nämlich das gleiche Verhalten je nachGeschlecht der Akteure von Frauen und Männern in gleicher Weise unterschiedlichwahrgenommen wird, bedingt einen gewissen methodologischen Aufwand. Wenn wirdie vorwissenschaftliche individuelle Wahrnehmung eines Gesprächsverlaufs in denBlick bekommen wollen, müssen wir experimentelle Situationen schaffen, in denenwir Sprecherbeiträge sowohl als Beiträge von Männern als auch als Beiträge vonFrauen wahrnehmen lassen. Wir müssen beispielsweise im Fall von Untersuchungenan Fernsehmaterial Bild und Ton ausschalten und auf der Basis von Transkriptionenohne Geschlechtsangabe arbeiten. Untersuchungen dieser Art habe ich in verschie-denen Seminaren angeregt und eine davon hat Dominik Metzler anhand eines Aus-schnittes aus der Sendung Zischtigsclub des Schweizer Fernsehens DRS durchge-führt. In dieser Diskussionsrunde äussern sich zwei Frauen und vier Männer zu denVorzügen und Nachteilen des Kulturartikels. Junge ProbandInnen sollten den Ge-sprächsstil der Diskutierenden in mehrfacher Hinsicht beurteilen; sie wurden gebe-ten, anzugeben, ob es sich um eine diskutierende Frau oder einen diskutierendenMann handle und diese Entscheidung zu begründen. Eine Kontrollgruppe kannte dasGeschlecht der Diskutierenden. Eine der Fragen in diesem Design lautete: Spielt es für die Beurteilung des Ge-sprächsverhaltens eine Rolle, welches Geschlecht den Diskutierenden zugewiesenwird? Wenn das Geschlecht keine Rolle spielen würde, müssten die Diskutierendenvon jungen Männern und jungen Frauen gleich wahrgenommen werden, unabhängigdavon, ob sie annehmen, dass es sich dabei um eine Frau oder einen Mann handelt. Wenn die Diskutierenden unterschiedlich wahrgenommen werden, so können syste-matische Differenzen auf Stereotype zurückgeführt werden, welche die vorwissen-schaftliche Wahrnehmung und das vorwissenschaftliche Verstehen beeinflussen. Die generellen Resultate zeigen u.A., dass ein und derselbe Mensch von den einenVersuchspersonen (anhand von Transkripten) als Mann, von den anderen als Frauwahrgenommen wird. Die Annahme über das Geschlecht hat Folgen für die Beurtei-lung. Wer als Mann wahrgenommen wird, wird als kompetenter beurteilt. Wer jeman-den als Mann sieht, begründet damit, dass «er nur ans Geld denkt» und «nur vonFinanzen spricht», «nur das Defizit sieht und die Kultur nicht». Wer dieselbe Personals Frau sieht, betont die ruhige und nicht aggressive Argumentationsweise.
Etwas ausführlicher möchte ich das am Beispiel der Beurteilungen der Präsidentinvon «Pro Helvetia» vorstellen. Ca. 40% der Befragten halten sie für einen Mann, ca. 60% für eine Frau, ihr Status und ihre Kompetenz sowie ihre Objektivität werdendurchschnittlich hoch eingestuft. Die Kontrollgruppe, die das Geschlecht kennt,schätzt aber den Status der Sprecherin deutlich niedriger ein. (In Bezug auf Aggres-sivität wird sie sehr unterschiedlich eingestuft. Aber insgesamt könnte man bis zudiesem Punkt schlussfolgern, dass diese Sprecherin, ob als Mann oder als Frau
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wahrgenommen, ähnlich eingeschätzt wird. Im Begründungsteil des Fragebogenswird aber offensichtlich, dass das gleiche Verhalten der Specherin sehr unterschied-lich wahrgenommen wird, je nachdem, ob sie als Mann oder als Frau gesehen wird.)
Wenn sie als Frau wahrgenommen wird, was 60 % tun, so wird dafür u.a. angeführt,dass sie sehr zurückhaltend sei, schwächlich, sich für Kultur und Menschheit interes-siere, von «zämeläbe» spreche sowie von «verbunden sein untereinander». Sie wirdwahrgenommen als manchmal etwas unglaubhaft, etwas hysterisch, kommt nie zuWort, nur mit Hilfe des Moderators (wird von Kollegen ignoriert, versucht sich durch-zusetzen, ruhige Art, eher zurückhaltend, zeigt Gefühl, versucht Kulturfragen in ihrengesellschaftlichen Rahmen einzubetten, verliert den Blick für das Ganze nicht, machtVernetzungen, diese Qualität zeigen in politischen Fragen häufig Frauen), anständi-ge Sprache, mütterliche Gedanken über den Staat.
Diejenigen, welche die Sprecherin als Mann sehen, geben dafür folgende Begrün-dung an: «sehr kompetenter Sprecher und rational denkender Mensch», rationalesDenken ist eher eine männliche Fähigkeit, er ist der beste Redner der Runde, bleibtruhig, seiner Sache sicher (feste Position in der Diskussionsrunde, dominierenderDiskussionsteilnehmer, klare kompetente Argumentation, relativ aggressiv), setztsich in Tumultsituation durch, überlegener Mann, argumentiert glaubhaft, gezielt,sachlich.
Wie seit eh und je sehen junge Versuchspersonen auch wenn sie Gesprächsverhal-ten beurteilen, eine männliche Person unter der Perspektive der Vernunft, eine weib-liche unter der Perspektive der Mütterlichkeit. Dieses Bild, dieses Stereotyp, nichtunsere gesellschaftliche Wirklichkeit bestimmt also die Wahrnehmung. Diese Wahr-nehmung wird auch immer wieder, tagtäglich das Verstehen einzelner Gesprächs-beiträge steuern und darüber entscheiden, ob man ein «nicht wahr» als Signal derUnsicherheit oder der Dominanz versteht (vgl. Häcki Buhofer 1997).
Durch Wahrnehmung – vorwissenschaftliche Interpretation – Verstehen als Moment,das schon vieles entscheidet, aber auch durch Stereotype, die Sprache generell unddas internalisierte Kommunikationsverhalten entstehen allenthalben Genderkon-struktionen in der Wissenschaft. Literatur
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M. 1991.
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Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit. Band 1, Frankfurt a.M. 1979.
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Pasero, Ursula, Anja Gottburgson (Hrsg.): Wie natürlich ist Geschlecht? Gender und
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Riecher-Rössler, Anita, Anke Rhode (Hrsg.): Psychische Erkrankungen bei Frauen.
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Robak, Brigitte: Vom Pianotyp zur Zeilensetzmaschine. Setzmaschinenentwicklung
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Schiewe, Jürgen: Die Macht der Sprache: eine Geschichte der Sprachkritik von der
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Schönthal, Gisela (Hrsg.): Feministische Linguistik – Linguistische Geschlechterfor-
Wecker, Regina, Brigitte Studer, Gaby Sutter: Die «schutzbedürftige Frau». Zur Kon-
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IL CAFFÈ 18 marzo 2012 C3SOCIETÀ E COSTUME Uno studio mette in guardia sull’uso prolungato dei farmaci per abbassare i livelli di colesterolo Nell’organismo viene prodotto dal fegato , mentre il resto è introdotto con gli alimenti Sono i farmaci più prescritti almondo. Nel solo 2010 in tutto ilpianeta, i sistemi sanitari e i citta-dini hanno speso qualcosa come36 miliard